Digitalisierung in der Produktion? Ja, bitte. Was du im Vorfeld bedenken solltest.

Digitalisierung in der Produktion

Ich saß auf der Couch bei meiner Freundin. Wieder einmal versinken wir in Gesprächen. Damals hat uns die Abizeit vereint und nun -20 Jahre später- die Liebe zu Verbesserungen und Prozessen.  Moment mal... sind wirklich schon 20 Jahre vergangen?!

Nun gut. Zurück zur Digitalisierung. Ich berichtete ihr von einem Projekt, was total schiefgelaufen ist. Nicht nur wir als Team waren ganz schön frustriert, sondern es hat uns auch eine Menge Lehrgeld gekostet. Es ging um die Digitalisierung einer Produktionslinie, genauer gesagt um die Einführung einer hochmodernen, statistischen Prozesskontrolle (SPC). Super easy, super hilfreich und super nützlich, damit die Leistung der Maschinen bald die 80 % OEE* knackt. So dachten wir uns das zumindest. Und es klang auch einfach zu schön.

Nach ein paar Genehmigungsrunden hatten wir also ein System eingekauft, mit dem wir die entscheidenden Parameter wie Motortemperaturen,  Drücke, Vibrationen etc. in Echtzeit überwachen konnten. Und nicht nur das, sondern wir konnten auch Regelkarten mit ganz klaren Meldeketten und Anweisungen erstellen, die je nach verändertem Parameterwert ausgelöst wurden.  Später lernt das System dann selbst immer weiter, schärft die Spezifikationswerte und optimiert so den Prozess quasi von alleine.

Nun standen wir also da. Mit unserem Porsche unter den SPC Systemen.  Es war jedoch ein "leeres" System, das auf unseren Input wartete.  Die Berater zeigten uns, wie wir die einzelnen Bauteile  einbinden und entsprechende Werte definieren können.  So langsam dämmerte uns, wie viel Arbeit da noch auf uns zukommt. Als wir die Frage hörten, was genau wir einbinden wollen und welche Parameter mit welchen Grenzen dazu abgefragt werden sollen, wurde unsere Euphorie immer kleiner. Wir waren so naiv an dieses Projekt herangegangen und jetzt erst wurde uns bewusst, dass wir eigentlich noch gar keine Ahnung hatten, was für die Maschine wirklich entscheidende Parameter sind.  Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie komplex alleine eine einzige Abfüll- oder  Verpackungsmaschine sein kann.  Wir haben noch ein paar Wochen versucht uns an die Parameter heranzutasten, leider nicht mit dem erhofften Erfolg. Sicherlich hätten wir es stemmen können, aber die Priorität lag nicht auf diesem Projekt. Entsprechend konnten wir unsere Ressourcen nicht voll und ganz hierfür einsetzen. Kurze Zeit später fassten wir den Entschluss, das Projekt abzubrechen.

Diese Erfahrung war sehr schmerzhaft. Zum einen waren einige tausend Euro dafür draufgegangen, zum anderen war es für uns als Team frustrierend. Wir waren mit unserem Digitalisierungsvorhaben gescheitert.

Es fühlte sich nicht nach "heiter scheitern" an...

Nachdem ich meinen Projektbericht beendet hatte, schmunzelte meine Freundin. "Weißt du, dazu habe ich eine perfekte City Card".  Sie überreichte mir die Karte, die du auf dem Foto des Posts siehst. Mittlerweile ist das Zitat, das Thorsten Dirks, dem früheren Vorstandsvorsitzenden der Teléfonica Deutschland, zugeschrieben wird, eins meiner Lieblingszitate geworden. Es erinnert mich immer wieder daran, erst den Prozess im Ganzen zu hinterfragen und diesen zu verstehen. Danach können wir klären, was wirklich sinnvoll ist und (Mehr-) Wert schafft.

Wenn Sie einen scheiß Prozess digitalisieren, haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.

Thorsten Dirks

Digitalisierung ist ein wichtiges Thema und kann die Arbeitswelt deutlich vereinfach. Zugleich neigen wir nur zu gerne dazu, dass wir gerne direkt das beste vom besten und die perfekte Lösung haben wollen. Was wir nicht bedenken ist, dass wir unsere Abläufe und Prozesse verstehen müssen, bevor wir diese digitalisieren und automatisieren.  Ansonsten haben wir vielleicht viele digitalisierte Prozesse, sind aber nicht optimal aufgestellt.

Hier meine fünf Learnings, worauf du bei einem Digitalisierungsprojekt (uns auch jedem anderen) achten solltest.

  • Verstehe den Prozess. Mache dir vorher ein klares Bild von dem Ablauf und dem Prozess. Sowohl vom IST als auch dem SOLL. Ich empfehle dir immer einen Prozessfluss oder eine Wertstromanalyse zu machen. Das hilft dir, die unnötigen Schritte, die sogenannten "Verschwendungen", im Prozess zu erkennen.
  • Visualisiere immer! Es gibt auch ein ungeschriebenes "Gesetz" im Lean Kontext, das besagt, wenn du es nicht zeichnen kannst, dann hast du es nicht verstanden.
  • Keep it simple and smart. Wenn dein SOLL noch zu komplex ist, um es einem Themenfremden zu erklären, hast du noch zu viele Verschwendungen drinnen.
  • Bewerte die Verbesserung. Hierdurch bekommst du auch entsprechend die Klarheit über die Priorität des Projektes. Wichtig für die Ressourceneinteilung und die Kommunikation.
  • Sichere dir die Ressourcen.  Häufig werden die Themen on-top auf die Mitarbeitenden verteilt und selbst Führungskräfte neigen dazu sich selbst noch mehr aufzuhalsen. Ehrlich gesagt ist dies dann nur eine Ressourcenzusage auf dem Papier. Es kann nicht alles gleich wichtig sein.  Für mich ist entscheidend hierfür ganz bewusst andere Dinge zu streichen. Nichts ist schlimmer als ausgebrannte Teams- für den Projekterfolg, die Unternehmenskultur und die Gesundheit jedes Einzelnen.

Nun wünsche ich dir ganz viel Spaß und Erfolg bei deinem Digitalisierungsvorhaben. Und denk an das Vorgehen. Verstehen, entschlacken und dann erst digitalisieren =)

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Übrigens lernen wir oft aus Fehlern am besten. Diese sollten jedoch möglichst früh passieren, damit wir noch justieren können und unsere Herangehensweise anpassen können. Schön iterativ und agil.

Du möchtest mehr zum Umgang mit Fehlern wissen? Hier geht es zum Post "Fehler, Fettnäpchen und F*** ups".

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* OEE= Overall Equipment Efficiency (Gesamtanlageneffektivität ). Mehr über die OEE findest du in der Audiobegleitung vom Change Canvas Shopfloor Produktivität.

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