Perfektion-is-mus(s). 3 Gründe warum es Zeit wird loszulassen.

Perfektion

Ist es nicht löblich, dass wir nach dem perfekten Endergebnis streben? Sollte dies nicht der eigene Qualitätsanspruch an unsere Arbeit sein? Und wenn jeder von uns einen entsprechend hohen Anspruch hat, kann das doch nur zu einem bestmöglichen Ergebnis und letztlich zum Erfolg für den einzelnen Mitarbeitenden, das Team und der ganzen Organisation führen, oder nicht?

Jahrelang bin ich selbst auf der Perfektionismus-Welle einfach mitgeschwommen und habe dies auch als sehr positiv empfunden. Mitunter gab ich diese Erwartungshaltung sogar an mein Team und KollegInnen weiter. Doch schauen wir mal genauer hin. Was steckt eigentlich hinter dem Perfektionismus? Ist Perfektionismus nicht gleichzusetzen mit dem Streben nach kontinuierlicher Verbesserung? 

Nein. Perfektionismus hindert uns sogar an der kontinuierlichen Verbesserung. Es wird Zeit, die unschöne Wahrheit über den Perfektionismus zu verraten.

Beginnen wir mit dem gemeinsamen Verständnis. Perfektionismus bedeutet im Wesentlichen zwei Aspekte, mit denen die eigenen Handlungen ausgeführt werden müssen.

  • VOLLKOMMEN, d.h. ein übertriebenes Streben nach möglicher Perfektion
  • FEHLERFREI, d.h. die Vermeidung von Fehlern

Stell dir diese Denkweise vor. Wie viel Energie muss hier für verschiedene Tätigkeiten – beruflich und privat- aufgebracht werden? Und wie lange dauert so die Entwicklung und die Umsetzung von Ideen? Von Innovationen ganz zu schweigen. Genau das ist auch der Preis der Perfektion.

Überlege mal selbst. Würdest du für einen perfekten Strand, bei dem nicht ein Krümelchen oder Blatt zwischen den weißen Sandkörnen liegt, das 10-fachen für den Urlaub zahlen? Wenn das überhaupt für diesen extrem hohen Aufwand ausreicht.  Vielleicht denkst du direkt an das Pareto-Prinzip. Das sind die 80% Aufwand, die für nur 20% der Ergebnisse zuständig sind. Steht das in Relation?!

Nicht nur bei dem Sandbeispiel, sondern auch bei den eigenen Tätigkeiten lohnt sich der Blick, wozu  Perfektion führen kann.  Wir werden immer selbstkritischer und setzten uns selbst die Messlatte so hoch, dass es beim bloßen Anblick schon frustrierend ist. Teilweise fühlen wir uns gar gelähmt und auch die Lust und Freude an dem Thema verschwindet schnell.

Gerne gebe ich dir noch ein Beispiel aus einem Privatleben. Ich liebe das Reisen. Gemeinsam mit unseren Reise-Buddys erkunden wir die unterschiedlichsten Länder. Am Ende vom Urlaub steht dann das Fotobuch an. Meine Freundin ist radikal und war nach einem Wochenende fertig mit der online Gestaltung und klickte auf „bestellen“.  Obwohl ich ihre Vorlage übernahm, hat es bei mir…. hm…  ewig gedauert. Warum? Weil ich dachte, dass es noch schöner geht. Außerdem musste mein Sohn natürlich in zig-facher Ausführung mit rein.  Dann sollten die Hintergrundfarben auch wirklich perfekt zu den Fotos passen und auch der Text über die Orte und Gebäude durfte nicht fehlen.  Wenn ich schon daran dachte, was ich noch alles machen „musste“, bevor ich bestellen konnte, verging mir die Lust. Und ich setzte mich wieder einmal nicht ran. So zog sich das weiter. Wie ein Kaugummi, das schon längst den Geschmack verloren hatte. 

Endlich habe ich mich aufgerafft, investierte Tage in die Umsetzung und hatte – nach einem Jahr- das Buch fertig-perfektioniert und die gut 100 Seiten bestellt. Als es ankam war ich zwar froh, aber eher überwog das Gefühl, die Angst, ob es auch gut genug war. Ist alles drinnen? Lässt es sich gut lesen und sind auch alle Bilder gut genug belichtet?  Überraschung…  eine handvoll Fehlern entdeckte ich direkt. Mist. So ein Ärger. Hätte ich doch noch ein weiteres Mal draufgeschaut. Gelobt wurde es dennoch von den Betrachtenden. Rate mal, wie oft wir uns dieses Buch angeschaut haben? War dieses (fast) perfekte Fotobuch wirklich den erheblichen Aufwand wert? Rückblickend kann ich dies klar verneinen. Doch im Prozess hatte ich nur das perfekte Produkt vor Augen.  Einen wirklichen Mehrwert, der diesen Aufwand für die Erreichung der angestrebten Perfektion rechtfertigt, gab es nicht.

Perfectionism is a self-destructive and addictive belief system that fuels this primary thought: If I look perfect, and do everything perfectly, I can avoid or minimize the painful feelings of shame, judgement and blame.

Brené Brown

Ich habe mehrere Jahre gebraucht, bis ich erkannt habe, dass Perfektionismus auch ein Schutzschild ist.  Ein Sicherheitselement, das mich vor etwas bewahrt. Und gleichzeitig bremst und aufhält. Nämlich zu wachsen.  Denn wann wachsen wir? Nur, wenn wir aus der Komfortzone gehen. 

Heute weiß ich, dass der Perfektionismus-Gedanke mich teilweise eher abgehalten oder gar zurückgeworfen hat. Etwas nicht perfekt zu machen heißt nicht automatisch nicht gut zu sein. Sondern das Bewusstsein zu haben, worauf es genau ankommt und was nötig ist, um sein Ziel zu erreichen.

Drei Gründe sind für mich zentral, die mir dabei helfen, die Fallstricke des Perfektionismus  zu vermeiden.

#1: Perfektionismus verhindert den Fortschritt.

Dies trifft sowohl im beruflichen Kontext, als auch bei dem persönlichen Wachstum zu. Wie im Zitat passend geschrieben, so ist der Perfektionismus eine Art Schutzschild. Wir versuchen dadurch etwas zu beschützen. Uns selbst. Aus Angst, nicht gut genug zu sein. Aus Angst, Erwartungen nicht zu erfüllen.  Wir zerdenken Ideen und probieren diese nie aus. Geht es doch voran, so dauert es ewig, bis es „gut genug“ entwickelt ist und so fehlt uns die frühzeitige Rückkopplung mit dem Feedback für die Verbesserungsloops.  Kurzum: So wird es nicht besser.

#2: Perfektionismus raubt uns Lebenszeit.

Ich liebe es selbst perfekt. Weil es mir Sicherheit gibt, ein Gefühl von Kontrolle und auch eine gewisse Ruhe, da ich weiß, dass ich es gut vorbereitet habe. Es erfüllt mich mit stolz mein „perfektes“ Ergebnis zu sehen, beeindruckendes Feedback und Lob einzukassieren.  Doch war es diesen Aufwand und die enorme Energie -diese aufgebrachte Lebenszeit- überhaupt wert? Hätte es nicht leichter gehen können? Jeder Mensch hat die gleichen 24h. Entscheidend ist, wie ich die Zeit nutze. Letztlich ist hiervon auch abhängig, wie zufrieden ich mit meinem Leben bin. Darüber entscheide ich heute viel bewusster.  Was hätte ich stattdessen mit der Zeit anfangen und bewirken können?

#3: Perfektionismus macht krank.

Natürlich kenne ich das Pareto Prinzip. Mit 20% meiner Leistung kann ich 80% der Ergebnisse einfahren. Verstricke ich mich in meinem Perfektionismuswahn so ist es jedoch umgekehrt. Ich tüfftel, überdenke, verändere und perfektioniere mein Produkt oder die Idee immer weiter- 80% meiner Zeit gehen hier drauf und ich erreiche dabei nur 20% der Ergebnisse… wenn überhaupt… Vielleicht puffere ich diesen Ergebnisverlust mit zusätzlichen Stunden etwas ab… Lange halte ich das nicht aus. Der Strudel ist schon in Bewegung. Schaue ich mir meinen Tag an, so wird mein Freizeitanteil deutlich geringer. Vielleicht reduziere ich auch einfach die Schlafzeit getreu dem Motto „Schlafen können wir auch noch, wenn wir tot sind.“ Gleichzeitig schindet auch die Leistungsfähigkeit durch die aufgestaute und andauernde Belastung. Die zusätzlichen Stunden bringen irgendwann nicht mehr den erhofften Effekt… Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es psychisch und/ oder physisch knallt. Kurzum: So kann es nicht weitergehen. So darf es nicht weitergehen. 

Denn warum leben wir hier auf diesem wunderbaren Planeten?  Um unsere wundervollen Ideen nicht umzusetzen? Um uns totzuarbeiten? Ich kann euch sagen, das Lob für diese Energiefresser steht nicht in Relation zum Aufwand und diese Arbeitsweise ist letztlich nicht wirtschaftlich. Im Lean Management wird hier auch von einer „Verschwendung“ gesprochen. Etwas, das keinen Mehrwert für den Kunden stiftet und vermieden werden soll.

Entscheidend ist es zu erkennen, dass Produktivität und Perfektionismus in starker Abhängigkeit stehen. Mit einem übertriebenen Streben nach möglicher Perfektion und absoluter Fehlervermeidung werden wir nicht den Fortschritt erzielen, den wir uns wünschen. Werden nicht die Learnings aus Fehlern erfahren und so auch nicht unser Produkt und unser Unternehmen weiterentwickeln können. 

Und mal ehrlich, ist Perfektion nicht auch ermüdend?

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